In eigener Sache

Unser Vorstand hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, Frau Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Annika Hiller zur stellvertretenden Geschäftsführerin unseres Verbandes zu bestellen. Wir gratulieren ihr dazu herzlich und wünschen Frau Hiller jederzeit viel Erfolg bei ihrer Tätigkeit. Frau Rechtsanwältin Hiller hat sich seit Anbeginn ihrer Tätigkeit vor über 10 Jahren großes Vertrauen bei unseren Mitgliedsfirmen erworben. Wir freuen uns deshalb, Sie zukünftig zusammen mit Frau Rechtsanwältin Hiller als stellvertretende Geschäftsführerin in allen arbeits-, sozialrechtlichen Fragen und arbeitsgerichtlichen Verfahren erfolgreich betreuen zu dürfen.

Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf

Die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung zur Arbeitszeit bei Abrufarbeit auf die Fiktion des §§ 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG zurückzugreifen ist oder eine ergänzende Vertragsauslegung auf Basis der bisherigen durchschnittlichen Arbeitszeit vorzunehmen ist, hat grund­sätzliche Bedeutung. Hierüber wird das BAG entscheiden müssen.

Fehlt in einem Abrufarbeitsverhältnis eine Vereinbarung über
die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart.

Jedenfalls bei einem nicht gleichförmigen Abruf begründet allein das tatsächliche Abrufverhalten des Arbeitgebers weder eine konkludente vertragliche Vereinbarung noch ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich, entschied das LAG Hamm mit Urteil vom 29.11.2022 – 6 Sa 202/22.

Die Parteien streiten über die Frage, welche Arbeitszeit für das Arbeitsverhältnis maßgeblich ist.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als „Abrufkraft“ beschäftigt. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält u. a. die nachfolgende Regelung:

Frau X wird als Mitarbeiterin auf Abruf eingestellt. (…).“

Im Zeitraum von 2017 bis 2019 rief die Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin nach Bedarf in schwankenden Umfang ab. Im Jahr 2020 und 2021 ging der zeitliche Umfang des Abrufs der Klägerin zurück. So rief die Beklagte in diesem Zeitraum zwischen 90,8 und 98,4 Stunden pro Monat ab. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, sie mit monatlich 101 Stunden, dem von ihr ermittelten Durchschnittswert der Jahre 2017 bis 2019, zu beschäftigen und hat Lohndifferenzansprüche für 2020 und 2021 geltend gemacht. Argumentativ führte die Klägerin an, dass die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Jahre vor 2020 zu einer konkludenten Änderung des Arbeitsvertrages geführt habe und insofern Konkretisierung eingetreten wäre. Selbst wenn man eine konkludente Einigung verneine und deswegen eine Lücke im Vertrag annehme, ergebe die gebotene ergänzende Vertrags­auslegung, dass die Vereinbarung einer monatlichen Arbeitszeit von 101 Stunden dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspreche. Abzustellen sei dabei auf die tatsächliche Vertragsdurchführung in der Vergangenheit, die sodann auch für die Zukunft gelten solle.

Das LAG stellt zunächst fest, dass der Klägerin kein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzuges zusteht. So haben die Parteien Arbeit auf Abruf i. S. d. § 12 I 1 TzBfG vereinbart und hierbei eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest­gelegt. Daher betrage die für das Arbeitsverhältnis maß­gebliche Arbeitszeit gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG 20 Stunden wöchent­lich. Eine konkludente vertragliche Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der Arbeitszeit, insbesondere über 20 Wochen­stunden hinausgehend, hätte es nicht gegeben. So fehle es an einer entsprechenden rechtsgeschäftlichen Erklärung der Parteien. Diese lasse sich auch nicht aus dem Umfang ableiten, in dem die Klägerin tatsächlich von der Beklagten zur Arbeit herangezogen wurde. Ferner verwies das Gericht darauf, dass sich der Arbeitsvertrag der Parteien zwar als lückenhaft erweist, allerdings sei diese Regelungslücke nicht durch ergänzende Vertragsauslegung zu füllen, sondern durch Rückgriff auf die Vorschrift gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG. So regele diese ausdrücklich den Fall, dass eine Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt sei. Bereits der Wortlaut der Norm, der nicht wie bei anderen Auslegungsregelungen von „im Zweifel“ spreche, lege nahe, dass bei Fehlen einer Vereinbarung zur Arbeitszeit vorrangig von der Rechtsfolge des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG auszugehen sei.

Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen und auch eingelegt, BAG Aktenzeichen 5 AZR 24/23.

Vorlage von Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat in digitaler Form

Die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG muss nicht in Papierform, sondern kann auch in der Weise erfolgen, dass die Betriebsratsmitglieder, denen Dienst-Laptops zur Verfügung stehen, im Zuge der Information über eine beabsichtigte Einstellung umfassende Einsichts­möglichkeiten in ein Bewerbermanagement-Tool erhalten, entschied das LAG Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22 für eines unserer Mitglieds­unternehmen.

Das LAG Sachsen-Anhalt hat zu der für die Praxis bedeutsamen Frage Stellung genommen, ob die bloße Möglichkeit des Betriebsrates zur Einsichtnahme in ein digitales Bewerbungsmanagement-Tool und die hierin liegenden Bewerbungsunterlagen ausreichend für die Information des Betriebsrates im Rahmen von Einstellungen gemäß § 99 BetrVG ist. Dies wurde nachvollziehbar bejaht.

Die Betriebsparteien streiten im nun beim BAG anhängigen Verfahren u. a. über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers. Die Arbeitgeberin beantragte beim Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG dessen Zustimmung zur Einstellung eines Mitarbeiters. Der Betriebsrat teilte mit, er benötige noch das Protokoll des Vorstellungsgespräches und die Stellen­beschreibung der neuen Stelle. Die Arbeitgeberin unterhält ein Softwareprogramm zur Abbildung von Bewerbungsverfahren. In dieses werden, wie vorliegend, sämtliche eingehende Bewerbungen für eine Stelle digitalisiert und übernommen. Der Betriebsrat hat Zugriff auf dieses System.

Nach Zurverfügungstellung der geforderten Unterlagen fasste der Betriebsrat den Beschluss, seine Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung des Mitarbeiters zu verweigern. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat die Zustimmung des Betriebsrates zur Einstellung des Mitarbeiters ersetzt.

Auch das LAG entschied zugunsten der Arbeitgeberin und hielt die Beschwerde des Betriebsrates für nicht begründet. Vor einer beabsichtigten Einstellung habe der Arbeitgeber den Betriebsrat rechtzeitig und vollständig über die Gründe, den betreffenden Arbeitsplatz, die Person des ausgewählten Bewerbers und die Eingruppierung zu unterrichten und ihm darüber hinaus Auskunft über die Mitbewerber zu geben und die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Sofern der Arbeitgeber aufgrund der vorliegenden Umstände davon ausgehen dürfe, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, müsse es Sache des Betriebsrates sein, innerhalb der Frist um Vervollständigung der Auskünfte zu bitten.

Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat vorliegend über die Person des ausgewählten Bewerbers, den betreffenden Arbeitsplatz, die vorgesehene Eingruppierung/Vergütung und die Gründe der Arbeitgeberin für die beabsichtigte Einstellung in ausreichendem Maße unterrichtet. Der gesetzlichen Ver­pflichtung, dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen aller Stellenbewerber vorzulegen, sei die Arbeitgeberin dadurch nachgekommen, indem sie den Betriebsratsmitgliedern eine umfassende Einsichtsmöglichkeit in die digitalisierten Unterlagen gewährt habe.

Selbst wenn man nicht lediglich das bloße Zugänglichmachen von Bewerbungsunterlagen, sondern deren Überlassung bzw. Zurverfügungstellung an den Betriebsrat fordern würde, so wäre auch dies in der Bereitstellung der Unterlagen via Software zu sehen. In Zeiten der fortschreitenden Organisation möglichst papierfreier Büros könne es keinen Unterschied mehr machen, ob dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen in Papierform vorgelegt bzw. überlassen werden oder ob die Betriebsratsmitglieder durch „Vorlage“ von Laptops in die Lage versetzt würden, sich die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen.

Selbst wenn man jedoch der Auffassung folgte, wonach grundsätzlich ein Anspruch auf Vorlage aller Unterlagen in Papierform bestünde, führte dies gleichwohl nicht zu dem Ergebnis, dass wegen unvollständiger Unterrichtung des Betriebsrates das Zustimmungsersetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden wäre. Dem Betriebsrat haben objektiv alle notwendigen Informationen vorgelegen. Der Betriebsrat habe daher um Vervollständigung der konkret noch fehlenden Unterlagen auffordern müssen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage wurde die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen (anhängig unter BAG Aktenzeichen 1 ABR 28/22).

ANG-Wirtschaftsdaten März 2023

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Aktuelle Zahlen der Verbraucherpreise