Erledigungsklauseln in Vergleichen

Mit Entscheidung vom 24.01.2023 (6 Sa 326/22) kommt das Landesarbeitsgericht München zu einer ungewöhnlichen Auslegung der in der Praxis weit verbreiteten Formulierungen von Vergleichen.

Sachverhalt:

Nach zunächst außerordentlicher Kündigung einigten sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich am 06.04.2021 auf eine Beendigung zum 15.03.2021. Bis dahin sollte das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß unter Zugrundelegung eines Bruttomonatsgehaltes von Euro 3.900,- € abgerechnet werden. Ferner wurde vereinbart, dass mit Erfüllung des Vergleichs alle finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erledigt seien.

Im Nachgang forderte der Kläger Urlaubsabgeltung für Resturlaub aus 2020 und 2021. Er vertrat die Auffassung, dass die Urlaubsabgeltung unter die ordnungsgemäße Abrechnung falle. Die Arbeitgeberin hingegen berief sich auf die Erledigungsklausel.

Bisherige Rechtslage:

In seiner Entscheidung vom 18.09.2018 (9 AZR 162/18) sprach das Bundesarbeitsgericht dem klagenden Arbeitnehmer nach einem Vergleich ebenfalls einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. In jenem Fall endete das Arbeitsverhältnis allerdings erst mit dem Tag des Vergleichsabschlusses. Ansprüche auf Urlaubsabgeltung, auf die nach § 13 BurlG hätte verzichtet werden können, waren da noch nicht entstanden.

Anders die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 14.05.2013 (9 AZR 844/11). Hier gingen aufgrund der Erledigungsklausel in einem Vergleich, der die Beendigung rückwirkend zu einem früheren Datum vorsah, auch die Urlaubsabgeltungsansprüche unter. Denn bei dem Vergleich handele es sich um ein negatives Schuldanerkenntnis, wodurch der Arbeitnehmer auf den bereits entstandenen Abgeltungsanspruch verzichte.

Entscheidung LAG München:

Das LAG München kommt nun gleichwohl zu der Erkenntnis, dem Kläger stehe der Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu.

Denn:

„Die in Ziff. 2 des Vergleichs gewählte Formulierung, wonach das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen ist, führt für sich genommen nicht dazu, dass lediglich die reguläre offene Bruttomonatsvergütung noch abzurechnen und zu bezahlen ist. Vielmehr erfasst die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Bezahlung auch weitere nicht näher konkretisierte Zahlungsansprüche des Klägers.“

Nach Ansicht des LAG München seien alle finanziellen Ansprüche, die sich unter Zugrundelegung der regulären Bruttomonatsvergütung errechnen, nicht von der Erledigungsklausel erfasst. Denn mit der bewusst offenen Formulierung der ordnungsgemäßen Abrechnung sollten alle regelmäßigen, vergütungsbezogenen Ansprüche geleistet werden. Hätten die Parteien die Leistungen auf die monatliche Bruttovergütung beschränken wollen, hätten sie dies im Vergleich entsprechend regeln müssen, z.B. unter konkreter Aufzählung der Zahlungsansprüche.

In Konsequenz könnten von dieser Auslegung nicht nur etwaige Urlaubsabgeltungsansprüche, sondern z.B. auch Jahressonderleistungen, Urlaubsgeld, Prämien etc. betroffen sein.

Auf die Entscheidung des BAG vom 14.05.2013 (9 AZR 844/11) geht das LAG München kurioserweise nicht ein. Die Revision ist zugelassen.

Es wird daher zu beobachten sein, ob der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichtes seine Entscheidung aus 2013 bestätigt. Gleichwohl wäre zu überlegen, in künftigen Vergleichen detaillierter auf die Ansprüche einzugehen, die vermeintlich einvernehmlich ausgeschlossen werden sollen.

Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates bei Abweichungen von § 5 EFZG

5 EFZG regelt die Pflichten des Arbeitnehmers bei bestehender Arbeitsunfähigkeit. Nach dem Gesetz hat die Meldung unverzüglich zu erfolgen. Ab dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit ist ein Arzt aufzusuchen und die Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen.

Diese Pflichten werden in Arbeits- oder Tarifverträgen oft wiederholt, teilweise modifiziert. Was aber gilt mit Blick auf die Mitbestimmung, wenn die gesetzlich oder vertraglich festgeschriebenen Pflichten gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, soweit individualrechtlich zulässig, geändert werden sollen?

Mit dieser Frage beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 15.11.2022 (1 ABR 5/22).

Die Arbeitgeberin hatte gegenüber 17 von ca. 1.000 Arbeitnehmern die Weisung erteilt die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tag der Krankheit durch Attest nachzuweisen. Der Betriebsrat sah sich in seiner Mitbestimmung verletzt. Diese Weisung habe nicht ohne seine Beteiligung erteilt werden dürfen.

Verlangt der Arbeitgeber von Arbeitnehmern auf der Grundlage von § 5 I 3 EFZG in einer bestimmten Form und/oder innerhalb einer bestimmten Frist den Nachweis jeglicher Arbeitsunfähigkeit, betrifft dieses Verlangen grundsätzlich das Ordnungs- und nicht das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer.

Der Umstand, dass diese Weisung an mehrere Arbeitnehmer ergangen war, führt aber nicht zwingend zu einem kollektiven Tatbestand, welcher Grundvoraussetzung für die Mitbestimmung ist. Ein für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 1 BetrVG notwendiger kollektiver Sachverhalt ist aber nur gegeben, wenn die entsprechenden Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen.

Im Ergebnis vermochte das Bundesarbeitsgericht keinen kollektiven Tatbestand zu erkennen.

Eine Regelhaftigkeit folge nicht bereits aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin in jedem der Fälle zunächst in die Abstimmung mit dem Vorgesetzten des betroffenen Arbeitnehmers gegangen war. Die im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft geringe Zahl der betroffenen Arbeitnehmer spräche ebenfalls nicht für einen kollektiven Tatbestand.

Insbesondere die Gründe des Arbeitgebers für die jeweilige Anordnung sprächen gegen eine Regelhaftigkeit. So sind von der Weisung zwar nur Arbeitnehmer betroffen, die höhere Fehlzeiten aufwiesen. Es sei jedoch kein Zusammenhang erkennbar, z.B. dergestalt, dass die Weisung ab einer bestimmten Anzahl Fehltage im Jahr stets erteilt worden sei.

Die Weisungen unterlagen somit nicht der Mitbestimmung.

Der letzte Weg zum Briefkasten

Nach der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird der Ritus, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus Papier per Post an den Arbeitgeber zu versenden, wohl aussterben.

Zum Abschied dieser Tradition durfte nun das Bundessozialgericht noch einen Fall entscheiden. Eine Arbeitnehmerin war 2013 auf dem Weg zum Briefkasten gestürzt. Sie wollte ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung versenden. Aufgrund der Verletzungen, die sie sich dabei zuzog, folgte eine weitere Zeit der Arbeitsunfähigkeit.

Die Berufsgenossenschaft weigerte sich, dies als Arbeitsunfall einzustufen. Zu Unrecht, entschied nun das Bundessozialgericht mit Urteil vom 30.03.2023 (B 2 U 1/21 R). Da die Arbeitnehmerin schließlich verpflichtet gewesen sei, nach § 5 EFZG (alte Fassung) ihrem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, habe sie sich auf dem Weg zum Briefkasten offenkundig auf einem versicherten Arbeitsweg befunden.

Nur schade, dass diese Entscheidung nach der Gesetzesänderung wenig praktische Anwendung finden wird. Ob der Weg zum Telefon, um die erforderliche Krankmeldung vorzunehmen, versichert ist, wird vielleicht irgendwann noch zu entscheiden sein.

VdEW‑Homepage: VdEW‑Intern – Wirtschaftsinfos

Wir weisen an dieser Stelle auf die neue Version 20.0 von Februar 2023 zu „Aushangpflichtige Arbeitsschutzgesetze“ hin. Zur Vorversion von Februar 2023 gab es einige redaktionelle Anpassungen.

Die Lang- sowie die Kurzfassungen stehen zum Download auf unserer Internetseite unter VdEW‑Intern und dort unter Wirtschaftsinformationen für Sie bereit.