Kein Schadenersatz bei Verletzung der datenschutzrechtlichen Auskunftspflicht aus Art. 15 DS-GVO
Eine für Arbeitgeber erfreuliche Entscheidung hat das LAG Nürnberg mit seinem Urteil vom 25.01.2023 (Az.: 4 Sa 201/22) gefällt, indem es eine Klage eines Arbeitnehmers auf Schadenersatz gem. Art. 82 Abs. 1 iVm. Art. 15 DS-GVO wegen unterlassener Datenauskunft abgewiesen hat. Diese Entscheidung steht konträr zu der Entscheidung des Arbeitsgerichts Oldenburg (Urteil vom 09.02.2023 – Az.: 3 Ca 150/22), dass einen Arbeitgeber wegen Nichterfüllung der datenschutzrechtlichen Auskunftspflicht über 20 Monate lang zu einem Schadenersatz in Höhe von 10.000 € verurteilt hatte (entspricht 500 € pro Monat nicht erteilter Auskunft). Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hatte den Arbeitgeber noch zur Zahlung eines Schadenersatzes in Höhe von 4.000 € verurteilt.
Nach Auffassung des LAG Nürnberg kann bei Auskunftspflichtverletzungen kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hergeleitet werden. Die Norm ist nicht anwendbar, da diese eine gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstoßende Datenverarbeitung erfordert. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 82 Abs. 2 DS-GVO (verordnungswidrige „Verarbeitung“), dem Erwägungsgrund 146 zur DS-GVO und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Verletzung einer Auskunftspflicht unterfällt nicht dem Begriff der „Verarbeitung“ von § 4 Nr. 2 DS-GVO.
Die Herleitung des Schadenersatzanspruchs aus anderen Rechtsgrundlagen (z. B. gem. § 823 I BGB wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) erfordert die Darlegung eines konkreten Schadens. Diesen konnte der Kläger nicht darlegen.
Die Rechtsfrage, ob bei Verletzung von Auskunftsansprüchen Schadenersatz die Vorschrift von Art. 82 DS-GVO Anwendung findet, wurde noch nicht höchstrichterlich entschieden (dafür: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.11.2021 – 10 Sa 443/21; LAG Hamm, Urteil vom 11.05.2021 – 6 Sa 1260/20; dagegen: LG Bonn, Urteil vom 01.07.2021 – 15 O 372/20, LG Düsseldorf, Urteil vom 28.10.2021 – 16 O 128/20). Es bleibt also weiter spannend, bis eine höchstrichterliche Entscheidung Klarheit bringen wird.
Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für rumänische Saisonarbeitskräfte
In seinem Urteil vom 09.03.2023 (Az. S 1 BA 3/21) hatte das Sozialgericht Landshut darüber zu befinden, ob Gesamtsozialversicherungsbeiträge für rumänische Saisonarbeitskräfte nachgefordert werden können. Der Arbeitgeber hatte die Arbeitnehmer für maximal 70 Arbeitstage eingestellt und diese wegen der Sonderbestimmung von § 8 Abs. 1 IV als zeitgeringfügig beschäftigte Saisonarbeitskräfte angemeldet.
Nach Durchführung einer Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund wurden mit Bescheid insgesamt 14.701,80 € Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage des Betriebes hatte überwiegend keinen Erfolg.
Das SG Landshut hat den Bescheid bestätigt, weil nach seiner Auffassung die grenzüberschreitende Beschäftigung von Saisonarbeitskräften aus osteuropäischen Niedriglohnländern im Regelfall das Merkmal der Berufsmäßigkeit i.S.d. § 8 I Nr. 2 SGB IV erfüllt. In einem solchen Fall ist eine geringfügige Beschäftigung ausgeschlossen. Bei der Prüfung der Berufsmäßigkeit kommt es entscheidend auf den Anteil an, den die Vergütung aus der zeitgeringfügigen Tätigkeit an dem Jahreseinkommen der betreffenden Person hat. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit wird dann berufsmäßig ausgeübt i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, wenn sie für den Beschäftigten nicht nur von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung ist und er damit seinen Lebensunterhalt überwiegend oder doch in einem solchen Umfang bestreitet, dass seine wirtschaftliche Situation zu einem erheblichen Teil auf dieser Beschäftigung beruht (st. Rspr., vgl. u. a. BSG 14.03.2018, B 12 KR 17/16 R, SozR 4 2600 § 163 Nr. 2, Rn. 12). Bei Arbeitnehmern aus einem Niedriglohnland wird die wirtschaftliche Relevanz einer auch nur zeitgeringfügigen Beschäftigung für den Lebensunterhalt kaum verneint werden können. Wenn Erntehelfer über Wochen oder Monate ihren Haushalt für eine Arbeit in Deutschland verlassen, wird damit dokumentiert, dass hier ein Beruf zur Existenzsicherung ausgeübt werden soll, der notwendigerweise auf sozialrechtlichen Schutz angewiesen ist. In der Regel werde in Rumänien weniger als 30 % des deutschen Mindestlohns verdient. Wer in Rumänien tätig ist, verdient somit in drei Monaten in Deutschland deutlich mehr als manche Arbeitnehmer in der restlichen Jahreszeit in Rumänien. Daher hat z. B. das LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 26.04.2007 – L 1 KR 36/05) für polnische Arbeitskräfte, die während eines Sonderurlaubs in Polen in Deutschland in der Landwirtschaft tätig waren, Berufsmäßigkeit angenommen.
Arbeitgeber, die Saisonarbeitskräfte aus Billiglohnländern beschäftigen, müssen genau prüfen, ob die aus diesem Arbeitsverhältnis erzielten Einkünfte nur von untergeordneter Bedeutung für den Arbeitnehmer sind. Dies wird bei einer Herkunft aus einem Billiglohnland im Zweifel zu verneinen sein.
Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften
Nach der Entscheidung des BAG vom 13.09.2022 zur Arbeitszeiterfassung hat das BMAS angekündigt, eine Erfassungspflicht im Rahmen einer Novellierung des Arbeitszeitgesetzes zu regeln. Mittlerweile liegt ein Referentenentwurf vor, der sich derzeit noch in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung befindet. Eine Verbändeanhörung ist noch nicht eingeleitet.
I. Wesentlicher Inhalt
Der Entwurf umfasst neben Änderungen des Arbeitszeitgesetzes Änderungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes und der Offshore-Arbeitszeitverordnung.
Folgende Änderungen des Arbeitszeitgesetzes sind bis dato vorgesehen:
1. 16 Abs. 2 ArbZG wird dahingehend geändert, dass generell Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen sind.
2. Darüber hinaus werden dem § 16 folgende Absätze angefügt:
a)Es wird klargestellt, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnung auf die Arbeitnehmer „delegieren“ kann.
b) Der Arbeitgeber kann auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Hierfür hat er sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeitszeit und der Ruhezeiten bekannt werden.
c) Der Arbeitnehmer kann eine Information über die aufgezeichneten Arbeitszeiten verlangen. Der Arbeitgeber muss ggf. eine Kopie der Aufzeichnung zur Verfügung stellen.
d) In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebsvereinbarung können Abweichungen vereinbart werden von:
- der elektronischen Form,
- dem Zeitpunkt der Aufzeichnung in einem Zeitraum von bis zu sieben Tagen,
- für Arbeitnehmer, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann.
3. Für Arbeitgeber, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen, gilt die Verpflichtung zur Erfassung in elektronischer Form nicht. Für alle anderen Arbeitgeber gelten hinsichtlich der Form, nicht hinsichtlich des Zeitpunkts, Übergangsvorschriften ab Inkrafttreten des Gesetzes, die wie folgt gestaffelt sind:
- für Arbeitgeber ab 250 Arbeitnehmern eine Mindestübergangszeit von einem Jahr,
- für Arbeitgeber ab 50 aber weniger als 250 Arbeitnehmern zwei Jahre,
- für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern aber mehr als 10 Arbeitnehmern fünf Jahre.
4. Die Vorschrift über Ordnungswidrigkeiten in § 22 wird entsprechend der Neufassung von § 16 angepasst. Darüber hinaus wird die Information des Arbeitnehmers ebenfalls in den Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand aufgenommen.
5. Die Ausnahmevorschriften der §§ 18 ff. bleiben unverändert.
II. Vorläufige Bewertung
Entgegen den Ankündigungen des Koalitionsvertrages beschränkt sich der Entwurf auf neue Regulierungen. Die im Koalitionsvertrag ausdrücklich bzw. mittelbar angekündigte Flexibilisierung der Höchstarbeitszeit bzw. der Ruhezeiten wird nicht angegangen. Insgesamt ist der vorliegende Entwurf nicht geeignet, den Koalitionsvertrag oder die berechtigten Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern an einer flexiblen Arbeitszeit zu erfüllen. Er beschränkt sich im Wesentlichen auf Regulierungen und neue Bürokratie.
Die notwendige und sinnvolle Formfreiheit der Arbeitszeiterfassung wird nicht gewährleistet. Vielmehr wird eine generelle Pflicht zur elektronischen Aufzeichnung eingeführt. Diese hat darüber hinaus taggenau zu erfolgen. Beides ist nicht nur von der Arbeitszeit- oder der Arbeitsschutzrichtlinie sowie dem deutschen Umsetzungsgesetzen nicht gedeckt, es entspricht darüber hinaus auch nicht der Rechtsprechung von EuGH und BAG.
Die Möglichkeit, Aufzeichnungspflichten auf den Arbeitnehmer zu übertragen, entspricht der bisherigen Rechtsprechung und wurde von niemandem in Frage gestellt. Insoweit handelt es sich – wie die Begründung zu Recht herausarbeitet – um eine reine Klarstellung.
Der neue Abs. 4 zielt auf die vertraglich vereinbarte Vertrauensarbeitszeit. Dass auch für Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit das Arbeitszeitgesetz gilt, ist unbestritten. Unklar bleibt, wie weit die Kontrollen zu reichen haben und wie er ohne Kontrolle sicherstellen soll, dass Arbeitszeitverstöße entdeckt werden.
Die Abweichungsmöglichkeit beschränkt sich dem Grunde nach auf Tarifverträge (die für Betriebsvereinbarungen Öffnungen enthalten können). Sie gilt – abweichend zu der bisherigen Systematik des Arbeitszeitgesetzes – nur für tarifgebundene Arbeitgeber. Es sind keine Abweichungen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages durch Individualvereinbarungen oder Betriebsvereinbarungen vorgesehen.
Richtigerweise verortet der Entwurf die Arbeitszeiterfassungspflicht eindeutig im Arbeitszeitgesetz. Dies schließt den Rückgriff auf das Arbeitsschutzgesetz aus. Ebenso richtig ist, dass die Ausnahmevorschriften in den §§ 18 ff unangetastet bleiben. Über das weitere Gesetzgebungserfahren werden wir Sie unterrichten.
ANG-Report Nahrung und Genuss 02/2022
Mit dem zweiten ANG-Report Nahrung und Genuss 2022 informieren wir über die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Top-Themen der Branche aus dem letzten Halbjahr 2022. Insbesondere werden Themen zum Bedarf an Fach- und Nachwuchskräften besprochen. Den ANG-Report stellen wir Ihnen unter Wirtschaftsinformationen zur Verfügung.