EU-Parlament billigt Entgelttransparenz-Richtlinie
Das EU-Parlament hat am 30.03.2023 den Kompromissvorschlag zur Entgelttransparenz-Richtlinie angenommen. Die wichtigsten Änderungen im Überblick:
- Auskunftsanspruch: Für den individuellen Anspruch von Beschäftigten auf Auskunft über das Entgelt von anderen Beschäftigten soll künftig keine betriebliche Mindestgröße mehr gelten.
- Keine Frage nach früherem Gehalt: In Vorstellungsgesprächen soll nicht mehr nach dem aktuellen oder früheren Gehalt der Bewerberinnen und Bewerber gefragt werden dürfen.
- Mehr Transparenz hinsichtlich der Gehaltsentwicklung: Betriebe ab 50 Beschäftigte sollen Kriterien angeben müssen, wie die Beschäftigten ihr Gehalt verbessern und sich weiterentwickeln können.
- Keine Verschwiegenheitsklausel mehr: Arbeitgeber sollen ihren Beschäftigten künftig nicht mehr per vertraglicher Klausel untersagen können, mit anderen Beschäftigten über ihr Gehalt zu sprechen.
- Berichtspflichten: In Betrieben mit mindestens 100 Beschäftigten sollen Arbeitgeber je nach Betriebsgröße in unterschiedlichem Turnus den Beschäftigten und den zuständigen Behörden darüber berichten müssen, wie groß der betriebsinterne Gender Pay Gap ist. Sie sollen außerdem verpflichtet sein, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, wenn dieser über fünf Prozent liegt.
Die Minister müssen dem Richtlinienvorschlag noch zustimmen. Danach haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit für die Umsetzung der Richtlinie. Wir werden Sie über die aktuellen Entwicklungen hierzu jeweils kurzfristig informieren.
Ungleichbehandlung älterer Schwerbehinderter durch eine Kappungsgrenze im Sozialplan
Eine Höchstabfindungsgrenze in einem Sozialplan verstößt gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ältere Schwerbehinderte dadurch eine ebenfalls im Sozialplan vorgesehene zusätzliche Abfindung wegen ihrer Schwerbehinderung nicht erhalten (BAG Urt. v. 11.10.2022 – 1 AZR 129/21).
Der klagende Arbeitnehmer hat einen GdB von 80 und war langjährig bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. 2019 beschloss die Arbeitgeberin die Schließung des Betriebs, in dem der Kläger tätig war. Der mit dem Betriebsrat geschlossene Sozialplan sah neben einer Grundabfindung eine zusätzliche Zahlung von 2.000 EUR für Schwerbehinderte und Gleichgestellte ab einem GdB von 50 vor; gleichzeitig wurde der Maximalabfindungsbetrag je Arbeitnehmer auf 75.000 EUR beschränkt. Aufgrund seines Alters und seiner Betriebszugehörigkeit stand dem Kläger die Höchstabfindungssumme von 75.000 EUR zu. Die Beklagte zahlte jedoch die zusätzliche Abfindung wegen der Schwerbehinderung nicht an ihn. Der Kläger verlangt daraufhin weitere 2.000 EUR.
Das BAG spricht dem Kläger mit der oben vorgestellten Entscheidung den Betrag indes zu. Die Höchstbetragsregelung stehe dem nicht entgegen, weil diese wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG unwirksam sei, soweit sie sich auf den zusätzlichen Abfindungsbetrag erstrecke.
Die Betriebsparteien verfügten in Sozialplänen zwar über Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume, allerdings müssten sie stets § 75 Abs. 1 BetrVG beachten. Dieser sei bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung schon dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt werde, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede bestünden, die dies rechtfertigen. Ein solcher Fall liege hier durch die Höchstabfindungsregelung vor. Der zusätzliche Betrag solle zwar an alle Schwerbehinderten ab einem GdB von 50 gezahlt werden, tatsächlich erhielten ihn aber nur die Schwerbehinderten, deren Grundabfindung 75.000 € nicht überschritt.
Konsequenzen für die Praxis:
Die Zulässigkeit von Kappungsgrenzen in Sozialplänen als solche hat das BAG erneut bestätigt, weil Sozialplanmittel begrenzt sind und verteilungsgerecht die Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter mildern oder ausgleichen sollen. Dabei können besonders hohe Abfindungen gekappt werden, um die dadurch „gewonnene“ Verteilungsmasse auf andere Mitarbeiter zu verteilen. Aber die besonderen Erschwernisse schwerbehinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt müssen immer gesondert berücksichtigt werden. Fallen solche Zuschläge einer allgemeinen Kappungsgrenze zum Opfer, wird dieses Ziel bei der betroffenen Gruppe nicht erreicht. Bei einer im Sozialplan vereinbarten Kappungsgrenze müssen also solche Zuschläge daher außer Betracht bleiben.
Anhörung der Schwerbehindertenvertretung
Für eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin genügt es regelmäßig nicht, der Schwerbehindertenvertretung lediglich das an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben zur Kenntnisnahme zuzuleiten (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 07.03.2023 – 5 Sa 127/22).
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit, insbesondere über die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei, da die Beklagte weder den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört und dessen Zustimmung eingeholt habe noch die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligt habe. Das Schreiben vom 08.02.2022 an die Schwerbehindertenvertretung stelle keine Anhörung im Sinne des § 178 SGB IX dar. Es enthalte lediglich eine Information zum Verfahren beim Betriebsrat.
Das LAG hat ausgeurteilt, der Arbeitgeber hat nach § 178 Abs. 2 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die ohne eine solche Beteiligung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist unwirksam, § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX. Für die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen gelten die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG.
Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Sozialgesetzbuch IX seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge des § 178 Abs. 2 SGB IX eine planwidrige Regelungslücke. Dementsprechend hat die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen. Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt.
Wichtig:
Nach der vorgestellten Entscheidung des LAG hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nicht nur zu unterrichten, sondern vor Ausspruch der Kündigung anzuhören. Die Anhörung geht über das bloße Unterrichten hinaus. Anhörung bedeutet, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und diese Äußerung entgegenzunehmen sowie sich ggf. mit ihr auseinanderzusetzen.
Aktuelle Tarifabschlüsse
Am 13.04.2023 haben sich der Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV) und ver.di für die rund 100.000 Beschäftigten der Papier-, Pappe- und Kunststoffe verarbeitenden Industrie auf folgenden Tarifabschluss geeinigt:
- Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie i.H.v. 1.000 € im Mai 2023. Azubis erhalten 500 €
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.09.2023 um 5,1%
- Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie i.H.v. 1.000 € im März 2024. Azubis erhalten 500 €
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.08.2024 um weitere 2,1 %
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.12.2024 um weitere 1,4 %
- Laufzeit: 01.02.2023 – 31.01.2025 (24 Monate)
Am 18.04.2023 haben sich der Arbeitgeberverband Ernährung Genuss Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland e.V. und die Gewerkschaft NGG auf folgenden Tarifabschluss für die Beschäftigten der Mineralbrunnen- und Erfrischungsgetränke-Industrie in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland wie folgt geeinigt:
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.05.2023 um einheitlich 250 €
- Erhöhung der Ausbildungsvergütungen ab dem 01.05.2023 um einheitlich 200 €
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.04.2024 um weitere 150 €
- Erhöhung der Ausbildungsvergütungen ab dem 01.04.2024 um einheitlich 100 €
- Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie i.H.v. 1.500 € im Mai 2023 und im Mai 2024 i.H.v. 750 €. Auszubildende erhalten die Hälfte
- Teilzeitbeschäftigte erhalten die Tariferhöhungen und die Inflationsausgleichsprämie jeweils zeitanteilig
- Laufzeit: 01.02.2023 – 28.02.2025 (25 Monate)
Am 25.04.2023 haben sich der Arbeitgeberverband der Bayrischen Ernährungswirtschaft e. V. und die Gewerkschaft NGG auf folgenden Tarifabschluss für die Beschäftigten der Kartoffelverarbeitungsindustrie Bayern geeinigt:
- Erhöhung der Entgelte ab dem 01.06.2023 um 240 €
- Weitere Erhöhung der Entgelte ab dem 01.01.2025 um 90 €
- Erhöhung der Ausbildungsvergütungen ab dem 01.06.2023 um 120 € und ab dem 01.01.2025 um weitere 45 €
- Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie im Oktober 2023 i.H.v. 500 €, im März 2024 i.H.v. 1.250 € und im September 2024 i.H.v. ebenfalls 1.250 €, Teilzeit- und Saisonbeschäftigte anteilig
- Laufzeit: 01.06.2023 – 31.05.2025 (24 Monate)
Diese und weitere Tarifabschlüsse können Sie unter Tarifnachrichten einsehen.