BAG: Einleitung des bEM ohne vorherige datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar. Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung macht unterlassenes bEM nicht entbehrlich (BAG Urt. v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22)
Häufig stellt sich in der Beratungspraxis die Frage, ob ein bEM auch ohne datenschutzrechtliche Einwilligung durchgeführt werden darf und welche Auswirkungen eine Zustimmung des Integrationsamtes auf die Beweislast im Kündigungsschutzprozess hat. So auch in dem aktuellen Fall des BAG, in dem eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin zwar der Durchführung des bEM zustimmte, jedoch die datenschutzrechtliche Einwilligung trotz mehrfacher Aufforderung nicht abgab. Der Arbeitgeber brach daher das bEM nach dem ersten Informationsgespräch ab und kündigte das Arbeitsverhältnis nach vorheriger Zustimmung durch das Integrationsamt.
Im Kündigungsprozess behauptete die Arbeitnehmerin, das bEM-Verfahren hätte trotz fehlender datenschutzrechtlicher Zustimmung durchgeführt werden dürfen und müssen. In diesem hätte auch ein alternativer Arbeitsplatz gefunden werden können. Der Arbeitgeber berief sich demgegenüber auf die fehlende datenschutzrechtliche Einwilligung. Außerdem hätte das Integrationsamt in dem behördlichen Zustimmungsverfahren geprüft, ob alternative Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Daher müsse aufgrund der Zustimmung des Integrationsamtes davon ausgegangen werden, dass auch ein bEM objektiv nutzlos gewesen wäre.
Frage: Darf ein bEM auch ohne eine datenschutzrechtliche Einwilligung durchgeführt werden? Wenn der Arbeitnehmer die Einwilligung nicht abgibt: Darf das bEM als gescheitert abgebrochen werden?
Das BAG meint, die Vorschrift von § 167 II SGB X sehe für die Durchführung des Verfahrens im ersten Schritt keine datenschutzschriftliche Einwilligungserklärung des Arbeitnehmers vor. Es reiche aus, wenn der Arbeitnehmer seine Bereitschaft zur Durchführung des bEM erkläre. Der Arbeitgeber darf die Durchführung des Verfahrens nicht von einer schriftlichen Datenschutzerklärung abhängig machen. Dem Arbeitgeber ist es möglich und zumutbar, auch ohne datenschutzrechtliche Einwilligung des Arbeitnehmers mit der Durchführung des Verfahrens zu beginnen, wenn der Arbeitnehmer seine Bereitschaft zur Durchführung eines bEM erklärt.
Der Arbeitgeber müsse ein Erstgespräch führen und versuchen, den weiteren Verfahrensablauf abzustimmen und Vorbehalte gegen die Abgabe der datenschutzrechtlichen Einwilligung auszuräumen. Ferner hätte der Kreis der möglichen Teilnehmer (z. B. BR, Integrationsamt, etc.) auch ohne datenschutzrechtliche Einwilligung abgestimmt werden können.
In einem zweiten Termin hätte sodann besprochen werden müssen, ob und ggfs. auf welche Weise Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers reduziert werden können. Erst in diesem Zusammenhang hätte geklärt werden müssen, „ob“ überhaupt Gesundheitsdaten verarbeitet werden müssen und auf welche Weise diese rechtskonform zu verarbeiten sind. Nur wenn feststeht, dass für die Durchführung des Verfahrens überhaupt Gesundheitsdaten verarbeitet werden müssen und der Arbeitnehmer sich dann weigert, die für das bEM erforderlichen Diagnosen und Arztberichte vorzulegen, kann das bEM „kündigungsneutral“ abgebrochen werden.
Da diese Voraussetzungen nicht vorlagen (der Arbeitgeber hatte die weitere Durchführung des Verfahrens von der datenschutzrechtlichen Einwilligungserklärung abhängig gemacht, ohne abzuklären, ob überhaupt Gesundheitsdaten verarbeitet werden müssen), hätte der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG vor der Kündigung erneut ein bEM anbieten müssen. Da er dies nicht tat, war die Kündigung nach Auffassung des BAG unverhältnismäßig.
Bei Zustimmung des Integrationsamtes: Ist dennoch ein bEM erforderlich?
Nach Auffassung des BAG begründet der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts keine Vermutung dafür, dass ein bEM eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Das bEM und das Zustimmungsverfahren nach den §§ 168 ff. SGB IX hätten unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Während das bEM ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess sei, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle, überprüfe das Integrationsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss und treffe eine Ermessensentscheidung. Dieser könne keine Bedeutung für die erweiterte Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess zukommen, wenn ein bEM pflichtwidrig unterblieben ist. Die Wirksamkeit einer Kündigung beurteilt sich allein nach arbeitsrechtlichen Normen, die Entscheidung obliegt allein den Arbeitsgerichten.
Praxishinweis:
Die Entscheidung bringt Klarstellung, dass ein bEM auch ohne schriftliche Datenschutzeinwilligung durchgeführt werden darf, wenn der Arbeitnehmer der Durchführung des Verfahrens zustimmt. Datenschutzrechtlich stellt sich ohnehin die – umstrittene – Frage, ob eine datenschutzrechtliche Einwilligung tatsächlich erforderlich ist, da die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gemäß § 26 III BDSG im erforderlichen Umfang zulässig ist, wenn dies aufgrund einer dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsrecht obliegenden Verpflichtung (hier: § 167 II SGB IX) erforderlich ist. Zugleich gibt das BAG Empfehlungen, wie das Verfahren ohne schriftliche Datenschutzeinwilligung durchgeführt werden kann. Erst wenn feststeht, „ob“ und auf welche Weise tatsächlich Gesundheitsdaten verarbeitet werden müssen und der Arbeitnehmer diese nicht erbringt, kann ein bEM „kündigungsneutral“ abgebrochen werden.
LAG Niedersachsen: Umstrukturierung eines Arbeitsplatzes: erhebliche Veränderung des Anforderungsprofils führt zur Ausschreibungspflicht aufgrund Betriebsvereinbarung (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 15.03.2023 – 2 TaBV 23/22)
Das LAG Niedersachsen hatte im Rahmen eines Beschlussverfahrens darüber zu befinden, ob die Umstrukturierung eines Arbeitsplatzes, die dazu führt, dass für diesen eine längerfristige Fortbildung erforderlich führt, zur Ausschreibungspflicht führt, wenn aufgrund einer Betriebsvereinbarung neue Stellen konzernweit ausgeschrieben werden müssen.
Der Arbeitgeber hatte den bisherigen Arbeitsplatz inhaltlich und strukturell so umstrukturiert, dass für diesen eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation mit einem Umfang von 800 Unterrichtsstunden, nämlich als Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung erforderlich wurde. Die bisherige Küche sollte so umgestaltet werden, dass in dieser mehr behinderte Menschen anderer externer Werkstätten als bisher arbeiten durften. Die bisherige Funktion Küchenleitung sollte zur Funktion Gruppenleitung umfunktioniert werden, dabei verbliebe es jedoch bei der Leitung einer Küche, in der behinderte Menschen arbeiten.
Die Arbeitgeberin beantragte beim Betriebsrat die Versetzung auf die umstrukturierte Stellung „Gruppenleitung“ und informierte diesen über die Versetzung.
Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zur Versetzung, weil er die Auffassung vertrat, der Arbeitgeber habe eine nach § 99 II Nr. 5 BetrVG erforderliche Ausschreibung aufgrund der Betriebsvereinbarung unterlassen.
Der Arbeitgeber vertrat demgegenüber die Auffassung, es handele sich nicht um eine „neue Stelle“, sondern um die Modifikation einer bestehenden Stelle.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gibt dem Betriebsrat Recht. Nach Auffassung des BAG wird durch die Umstrukturierung und Veränderung des Anforderungsprofils für die bisherige Stelle ein neuer Arbeitsplatz geschaffen. Entscheidend sei, dass die bisherige Stelleninhaberin nicht ohne die Zusatzausbildung auf der Stelle beschäftigt werden darf. Die Zusatzausbildung sei aber derart langfristig, dass sie sich außerhalb des üblichen Schwankungsbereichs bzw. der üblichen beruflichen Entwicklung bewege und dadurch ein neuer Arbeitsplatz geschaffen werde.
Arbeitgeber mit bestehender Ausschreibungspflicht aufgrund einer BV sollten bei wesentlicher Umstrukturierung des Arbeitsplatzes, mit dem eine Änderung des Anforderungsprofils einhergeht, an eine Ausschreibung denken.
Einigung beim Hinweisgeberschutzgesetz erzielt
3. Einigung beim Hinweisgeberschutzgesetz erzielt
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 12.05.2023 den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen am bisherigen Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) zugestimmt.
Die Änderungen umfassen folgende Punkte:
- Konkretisierung, dass Verstöße im beruflichen Kontext erfolgen müssen (§ 3 Abs. 3 HinSchG).
- Streichung der verpflichtenden Anonymität der Meldekanäle.
- Vorrang (Soll-Vorschrift) der internen Meldestelle in Fällen, in denen wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und Hinweisgeber keine Repressalien befürchten (§ 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG).
- Erweiterung der Aufbewahrungsfrist von Dokumentationen, so lange dies erforderlich und verhältnismäßig ist (§ 11 Abs. 5 HinSchG).
- Präzisierung bei der Beweislastumkehr (§ 36 Abs. 2 S. 1 HinSchG).
- Streichung des immateriellen Schadensersatzanspruchs.
- Begrenzung der Bußgeldhöhe auf max. 50.000,00 € (§ 40 Abs. 6 S. 1 HinSchG).
Das HinSchG wird voraussichtlich etwa Mitte Juni 2023 in Kraft treten. Sie können den Gesetzesentwurf und den Beschluss bei uns auf der Homepage unter diesem Newsletter downloaden.
BDA veröffentlicht Grundsatzpositionen zur Zukunft der Regelungen zum Kurzarbeitergeld
Die BDA hat eine Grundsatzposition zur Zukunft der Regelungen zum Kurzarbeitergeld (KuG) veröffentlicht. Die Sonderregelungen zum KuG laufen am 30.06.2023 aus. Sonderregelungen müssen auf Sondersituationen beschränkt bleiben. Die BDA meint, dass es nach Auslaufen der Sonderregelung Zeit ist, zu den regulären Regelungen zur Kurzarbeit zurückzukehren. Die aktuelle wirtschaftliche Lage und die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zur Kurzarbeit rechtfertigen aktuell eine Beibehaltung der verbliebenen Sonderregelungen nicht. In dem Positionspapier fordert die BDA aber:
- die Verstetigung der Verordnungsermächtigungen, die dafür sorgen, dass die Bundesregierung in Zukunft schnell handeln kann
- krisensichere Regelungen auch für die Beschäftigten der Zeitarbeit
- und die Vorbereitung eines befristeten Notlagen-Kurzarbeitergeldes, das als pauschaler Zuschuss zu den betrieblichen Lohnkosten ausgestaltet werden sollte.
Derzeit sind die Mitgliedsverbände der BDA aufgefordert, Anmerkungen zu dem Vorschlag der BDA abzugeben. Wir werden Sie über die aktuellen Entwicklungen zum KuG weiterhin auf dem Laufenden halten.