Verfall des tariflichen Mehrurlaubs bei Langzeiterkrankung (BAG, Urt. v. 25.07.2023)
In seiner Entscheidung vom 25.07.2023 hatte sich das BAG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der tarifliche Mehrurlaub eines Arbeitnehmers verfallen kann, wenn der Arbeitnehmer diesen aufgrund längerer Erkrankung nicht nehmen kann und der tarifliche Urlaub befristet ist.
Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung findet der MTV für die Chemische Industrie Anwendung, der in § 12 I Nr. 11 für den tariflichen Mehrurlaub vorsieht, dass dieser bis 31.03. des Folgejahres genommen werden muss. Nach Ablauf dieses Datums soll der Urlaubsanspruch erlöschen, wenn er nicht zuvor geltend gemacht wird.
Mit Schreiben vom 17.03.2021 beantragte der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber die Übertragung seines tariflichen Urlaubes „von 28 Urlaubstagen“ aus dem Jahre 2020 in das Folgejahr. Der Arbeitgeber antwortete, dass dies automatisch geschehen würde, wenn die Voraussetzungen für eine Übertragung des Urlaubs vorliegen, dabei aber zwischen dem Tarifurlaub und dem gesetzlichen Mindesturlaub unterschieden werden müsse. Der Arbeitgeber erläuterte weiter, dass der gesetzliche Urlaub und der Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung übertragen würden, die zehn Tage tariflicher Urlaub jedoch aufgrund der Regelung von § 12 I Nr. 11 MTV ersatzlos verfallen würden.
Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Klage gegen seinen Arbeitgeber und wollte vom Gericht festgestellt wissen, dass die 10 Tage tariflicher Mehrurlaub nicht mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres verfallen sind.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Das BAG verwies auf all seine Entscheidungen aus dem Jahre 2021, mit dem es bereits entschieden hatte, dass die Tarifvertragsparteien den tariflichen Mehrurlaub abweichend vom gesetzlichen Urlaub regeln können. Dies gilt auch für Fälle einer Langzeiterkrankung (BAG, Urt. v. 09.03.2021 – 9 AZR 310/20). Der Tarifvertrag kann regeln, wie eine Verfallsfrist in Gang gesetzt wird und ob und wann ein Urlaub im Falle einer Langzeiterkrankung verfällt. Aus dem Tarifvertrag müssten sich allerdings „deutliche Anhaltspunkte“ ergeben, dass die Tarifvertragsparteien vom Gesetz abweichende Regelungen treffen wollen. Andernfalls sei davon auszugehen, dass auch für den tariflichen die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes entsprechend gelten sollen.
Das BAG konnte der Regelung in § 12 I Nr. 11 MTV deutliche Anhaltspunkte entnehmen, dass der tarifliche Mindesturlaub abweichend vom gesetzlichen Urlaub verfallen soll.
Nach der tarifvertraglichen Regelung müsse der Urlaub bis zu dem Verfallsdatum am 31.03. des Folgejahres gewährt werden und erlösche, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht werde. Damit liege das Initiativrecht für die Urlaubsgewährung anders als bei der gesetzlichen Regelung („Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber“) beim Arbeitnehmer (der Urlaub muss „geltend gemacht“ werden) und der Urlaub müsse bis zur Verfallsfrist gewährt werden können. Der Arbeitnehmer kann sich in einem solchen Fall nicht darauf berufen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch die Erfüllung seiner Hinweispflichten über den Verfall des Urlaubsanspruchs nicht in die Lage versetzt hat, einen Urlaub vor dessen Verfall zu nehmen. Der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer konnte den Urlaub auch nicht rechtzeitig vor seinem Verfall geltend machen, da dies voraussetzen würde, dass der Urlaub auch tatsächlich genommen werden kann. Urlaub und Krankheit schließen sich indes aus. Der Arbeitnehmer konnte daher durch sein Schreiben kurz vor dem Verfall der Urlaubsansprüche diese nicht mehr geltend machen, um einen möglichen Verfall zu verhindern.
Tarifgebundene Arbeitgeber sollten bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern gut prüfen, ob der tarifliche Zusatzurlaub bei einer Langzeiterkrankung verfällt. Sieht der Tarifvertrag hierzu Anhaltspunkte vor, dann sollte der Urlaub nicht abgegolten werden.
Kündigungsschutz eines stellvertretenden Datenschutzbeauftragten (LAG Sachsen, Urt. v. 17.03.2023 – 4 Sa 133/22)
Das LAG Sachsen hatte sich mit dem Sonderkündigungsschutz eines stellvertretenden Datenschutzbeauftragten nach § 6 IV BDSG zu befassen, der von einer Behörde bestellt worden war.
Der Kläger ist Leiter des Bauordnungsamtes und Angestellter im öffentlichen Dienst. Zusätzlich zu seiner Leitungsfunktion wurde er zum stellvertretenden Datenschutzbeauftragten bestellt. Am 27.05.2019 ging eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, kraft derer dem Arbeitnehmer eine Nötigung und Bedrohung vorgeworfen wurde, aufgrund derer der Beschwerdeführer sich in ärztliche Behandlung habe begeben müssen.
Die Beklagte stellte den Leiter des Bauamtes daraufhin frei und kündigte das Arbeitsverhältnis nach vorheriger schriftlicher Anhörung mit Schreiben vom 11.06.2019 außerordentlich. Die Kündigung wurde vom Arbeitsgericht in der 2. Instanz wegen einer fehlerhaften Personalratsanhörung als rechtsunwirksam festgestellt.
In der Berufungsinstanz wurde eine weitere Kündigung unter dem 19.05.2021 ausgesprochen, weil der Bauamtsleiter im Prozess falsch vorgetragen haben sollte. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger erneut Klage vor dem Arbeitsgericht. Ferner wurde eine weitere hilfsweise Kündigung unter dem 23.06.2021 ausgesprochen.
Auch diese Klage verlor der Arbeitgeber in der ersten Instanz, weil er die zweiwöchige Kündigungsfrist von § 626 II BGB nicht eingehalten hatte. Das Arbeitsgericht sah die weitere hilfsweise ordentliche Kündigung als rechtsunwirksam an, da es die Vorschrift von § 6 IV 2 BDSG entsprechend auf einen stellvertretenden Datenschutzbeauftragten anwendete. Nach dieser Vorschrift kann ein Datenschutzbeauftragter nur dann abberufen werden, wenn außerordentliche Kündigungsgründe vorliegen. Daher könne das Arbeitsverhältnis auch nur außerordentlich gekündigt werden (siehe hierzu auch BAG, Urt. v. 25.08.2022 – 2 AZR 225/2020). Deswegen hätte auch die 2-Wochen-Frist von § 626 II BGB für die Kündigung eingehalten werden müssen.
Das LAG Sachsen bestätigte auf die erneute Berufung die erstinstanzliche Entscheidung. Der Arbeitgeber hätte die Vorwürfe aus der Dienstaufsichtsbeschwerde sorgfältiger prüfen und bewerten müssen. Die Stellungnahme des Bauamtsleiters hätte entlastend berücksichtigt werden müssen. Deswegen scheide auch eine Verdachtskündigung oder eine „Druckkündigung“ aus.
Die Entscheidung zeigt, dass die Bestellung von internen Datenschutzbeauftragten für den Arbeitgeber riskant ist. Weiterhin wird aufgezeigt, dass der Arbeitgeber bei einer Verdachtskündigung und bei einer „Druckkündigung“, die auf Beschwerden beruht, sich zunächst schützend vor seinen Arbeitnehmer stellen muss. Der Sachverhalt sollte sorgfältig aufgeklärt werden. Dabei muss aber immer die laufende 2-Woche-Frist von § 626 II BGB berücksichtigt werden, die allerdings durch zügige Aufklärungsmaßnahmen und eine Anhörung des Arbeitnehmers (innerhalb von einer Woche nach Kenntnis der Verdachtsgründe) gehemmt wird.