Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
In unserer täglichen Beratungspraxis beschäftigen wir uns immer wieder mit Anfragen zu Überprüfungsmöglichkeiten von ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiträumen. Seit dem Urteil des BAG vom 08.09.2021 -AZR 149/21 (vgl. hierzu unseren NL 40-2021 vom 17.09.2021) mehren sich die Rechtsstreitigkeiten über die Erschütterung des Beweiswerts von AUB. Dort hatte die „passgenaue“ Übereinstimmung zwischen der Kündigungsfrist und der AUB ersthafte Zweifel an der Erkrankung gerechtfertigt. Die Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswerts der AUB bleiben aber nach wie vor hoch, wie ein Urteil des LAG Köln vom 10.8.2023 – 6 Sa 682/22 aufzeigt.
Im dort entschiedenen Fall war die Klägerin vom 01.01.2021 bis zum 28.02.2022 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Sie erklärte mit Schreiben vom 19.01.2022 ihre Kündigung, meldete sich krank und legte eine AUB vom 19.01. bis 02.02.2022 vor. Dem vorausgegangen war ein Personalgespräch über den Zuschnitt der künftigen Aufgaben der Klägerin. Anschließend übersandte die Klägerin eine weitere AUB bis zum 16.02.2022. Am 17.02.2022 erschien sie im Betrieb und nahm bis zum 23.02.2022 Erholungsurlaub. Vom 24.02.2022 bis 31.03.2022 befand sie sich in stationärer Behandlung. Die Beklagte zahlte die Vergütung im Januar nur bis einschließlich den 18.01.2022 und im Februar lediglich für die Urlaubstage, da die Klägerin am 18.01.2022 ihre persönlichen Sachen zusammengepackt, ihr Diensthandy zurückgegeben und sich von den Kollegen verabschiedet habe. Die Klägerin berief sich darauf, sie leide seit Jahren an einer psychischen Belastungsstörung, die nach dem Personalgespräch am 18.01.2022 erneut ausgebrochen sei. Das ArbG gab der Zahlungsklage der Klägerin statt.
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der Beweis krankheitsbedingter AU werde zunächst durch die Vorlage einer ärztlichen AUB geführt, so das LAG Köln. Wenn es der Arbeitgeberin gelinge, deren Beweiswert zu erschüttern, sei eine Beweiserhebung erforderlich. Die Arbeitgeberin könne Indizien beweisen, die einer AU entgegenstehen. Nur mehrdeutige Sachverhalte, die plausibel erklärbar sind, seien als Indizien ungeeignet. Hier führe die Gesamtschau der Indizien nicht zu einer Erschütterung des Beweiswerts der AUB. Weder die Ankündigung gegenüber Kollegen, sich krankschreiben zu lassen, noch die Mitnahme der persönlichen Gegenstände und die Abgabe des Diensthandys seien als Indizien geeignet. Schließlich habe die Klägerin im Rechtsstreit die ärztliche Diagnose einer seit längerem bestehenden depressiven Störung offengelegt. Dass sie dies bis dahin der Beklagten nicht mitgeteilt habe, sei nicht relevant, da eine Arbeitnehmerin nicht zur Darlegung von Krankheitsursachen verpflichtet sei. Auch der Urlaub der Klägerin vom 17. bis 23.02.2022 lasse nicht an der AU zweifeln. Die Frage, ob der stationäre Klinikaufenthalt geplant gewesen sei, sei nicht relevant. Denn bei Arbeitsfähigkeit wäre der Aufenthalt nicht nötig gewesen. Es liege auch keine „passgenaue“ Bescheinigung vor, da die Klägerin nicht während der gesamten Kündigungsfrist krankgeschrieben war und der Klinikaufenthalt erst einen Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist endete.
Praxishinweis:
Vorliegend hatte das LAG aufgrund der im Prozess nachgewiesenen psychischen Erkrankung der Klägerin keinen Zweifel an den AUB. Insgesamt könnte aber die Kombination aus Krankmeldung mit Übersendung der Eigenkündigung, Mitnahme der persönlichen Sachen, Rückgabe des Diensthandys und Verabschiedung von den Arbeitskollegen durchaus ausreichen, den Beweiswert zu erschüttern, auch wenn keine passgenaue AUB vorgelegt wird. Auf die medizinische Vorgeschichte der Klägerin kommt es bei der Feststellung der Indizwirkung zunächst nicht an. Die Klägerin kann diese aber im Prozess zum Beweis ihrer AU darlegen. Denn grundsätzlich dürfen nach der Rechtsprechung des BAG an den Vortrag des Arbeitgebers unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Im Ergebnis konnte die Klägerin den Beweis ihrer psychischen Erkrankung erbringen. Sie hätte damit auch eine zuvor festgestellte Indizwirkung widerlegen können. Vergleiche zu ähnlichen Entscheidungen unsere NL 26/32 vom 05.07.2023 und NL 35/2023 vom 06.09.2023.
Schriftform der Befristung gewahrt?
Bekanntlich muss die Befristung eines Arbeitsvertrags in schriftlicher Form erfolgen. Ein Verstoß gegen das in § 14 Abs. 4 TzBfG angeordnete Schriftformerfordernis hat zur Folge, dass die Befristung unwirksam ist. Ist diese Formvorschrift aber auch dann gewahrt, wenn sich die Parteien später formlos auf einen anderen Arbeitsbeginn verständigen?
Im zu entscheidenden Fall wurde der Arbeitnehmer mit schriftlichem Arbeitsvertrag für den Zeitraum von 15.05.2019 bis zum 30.09.2019 eingestellt. Der unterschriebene Arbeitsvertrag mit der Befristungsabrede wurde ihm ausgehändigt. Kurze Zeit später einigten sich die Arbeitsvertragsparteien darauf, dass die Tätigkeit bereits am 04.05.2019 beginnen soll. Der Arbeitgeber schickte die entsprechend angepasste erste Seite des Arbeitsvertrages und bat den Arbeitnehmer, sie mit der ursprünglichen ersten Seite auszutauschen und diese an ihn zurückzusenden. Wie vereinbart nahm der Arbeitnehmer bereits am 04.05. seine Tätigkeit auf, die ursprüngliche erste Seite schickte er aber nicht zurück. Vor Gericht machte er nach Ablauf der Befristung geltend, dass diese unwirksam sei, da der frühere Beginn nicht schriftlich, sondern formlos erfolgt sei.
Das BAG entschied mit Urteil vom 16.08.2023 – 7 AZR 300/22 – wie die Vorinstanz, dass das Arbeitsverhältnis zum 30.09. ordnungsgemäß geendet habe. Es stellte fest, dass die Befristung des Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 TzBfG zulässig war. Insbesondere die Befristungsabrede genügte dem Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG. Die Vorverlegung des Arbeitsbeginns habe das Enddatum der Befristung nicht geändert und unterlag deswegen nicht der Schriftform. Durch die spätere Einigung auf einen früheren Tätigkeitsbeginn hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer keinen weiteren oder neuen Arbeitsvertrag mit nur mündlicher Befristungsabrede getroffen.
Nach Auffassung des BAG erfordere der Anfangszeitpunkt eines befristeten Arbeitsvertrags die Schriftform nur, wenn allein dadurch das Ende des Arbeitsverhältnisses bestimmt werden kann. Bei kalendermäßigen Befristungen müsse entweder das Beendigungsdatum oder der Vertragsbeginn und die Vertragsdauer (“ab einem bestimmten Datum für eine bestimmte Dauer”) dem Schriftformgebot entsprechen.
Praxishinweis:
Das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG soll den Arbeitnehmern vor Augen führen, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt automatisch enden wird und aus diesem Grund keine dauerhafte Existenzgrundlage bilden kann. Mit diesem Verständnis des Schriftformgebots reicht bei einer Zeitbefristung die eindeutige Angabe nur des Endtermins jedenfalls aus. Vorsicht ist aber dann geboten, wenn die nachträgliche Änderung des Arbeitsbeginns auch den zuvor formwirksam vereinbarten Endtermin verändert.
ANG-Wirtschaftsdaten November 2023
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